Hanna

29. april 2024

 

 

„Wir kommen nun zu den Nachrichten, die es heute auch noch zu berichten gibt – mit dir, Hanna…“ So pflegt Christian Sievers, Anchorman des heute-journals, den zweiten Nachrichtenblock „Vermischtes“ mit der Kollegin Hanna Zimmermann etwas kumpelig anzumoderieren. Susanne, Christian, Elmar oder Phoebe – so lauten die munteren Anreden bei Interviews und Reportagen aus aller Welt, mit denen Vertrautheit, Wohnzimmernähe und barrierefreie Kommunikation abgestrahlt und ausgesendet wird. Vor 20 Jahren war derlei dialogische Umstandslosigkeit ein Privileg der Jugend- und Musiksender, mit Moderatoren um die paarundzwanzig. Nach der legendären Dieter-Zetsche-Show mit Jeans und Sneakers auf einer Aktionärsversammlung von Mercedes - Benz, damals noch Daimler, wurde der legere Kleidungsstil und das rasche, geradezu freundschaftlich klingende Du gesellschaftlich in erstaunlicher Geschwindigkeit salonfähig. Inzwischen werden nicht nur bei IKEA oder Starbucks, sondern weithin im öffentlichen Geschäftsverkehr die Anredeformen vereinfacht und ins einfache Du gebracht. Es geht um Abbau von Distanz und Intensivierung von Nähe, ohne den Aufwand von innerer Veränderung oder Beziehungsarbeit einsetzen zu müssen. Man ist rasch beieinander, ohne miteinander etwas „haben“ zu müssen. Das ist ohne Zweifel eine soziale Erleichterung: Vertrautheit muss nicht hergestellt, sie kann einfach verbal inszeniert werden. Angesichts des anstrengenden gesellschaftlichen Lebens in einem hochdifferenzierten und multikulturellen Umwelt ist diese Erleichterung alles andere als unverständlich. Misslich wäre nur, wenn wir uns über dieser Entwicklung die Erinnerung an die Mühe um echte Vertrautheit abgewöhnen würden. Die bleibt nämlich …

Helmut Aßmann

 

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